Paul Stephenson´s "These Days"

Die Songtexte von Paul Stephenson waren uns ein Experiment wert: In den CD-Booklets werden bei allen Stockfisch Künstlern die Lyrics wiedergegeben. Oft wurden wir daher nach Übersetzungen solch schöner Lieder gefragt. Anstelle dessen werden wir hier in loser Folge Kurzfassungen der erzählten Geschichten, inhaltliche Erklärungen oder Hintergrundinformationen in deutscher Sprache veröffentlichen. Für diese komplexe aber auch liebevolle Arbeit bedanken wir uns bei Andreas Cyffka.

These Days - Ein herber, ein nachdenklicher Einstieg in ein äußerst vielseitiges Album. “Heutzutage schätze ich nichts mehr als eine gute Verkleidung um die Welt auf sicherem Abstand zu halten …”, “ein Chaos, das durch Nebel scheint, so kommt die Welt mir heutzutage vor”

Dies ist ganz eindeutig nicht mehr der tropische Sonnenschein Martiniques. “Den Mantelkragen hochgestellt, Die Fensterläden geschlossen Geh’ ich durch die Straßen, Gefror’ne Erinnerungen an Farben und Klänge lenken scheinbar meinen Schritt”. Die (Groß)stadt als anonymer Hintergrund nimmt keinen Anteil: Sie nimmt lediglich alles Materielle , “was sie schlucken kann, wenn es sich nur lohnt”.

Ein reifes Bewusstsein erinnert sich zurück an die früheren Jahre als freier Reisender, der Nächte unterm Sternenzelt verbrachte.” Dafür sind die Nächte mittlerweile zu kalt geworden – in der physischen Welt und im Innenleben. Der Dichter räsoniert: “Es ist die Welt oder im anderen Fall bin’s ich, der, aus dem Takt geraten ist.”

Engineering Frank - Ein sehr intimes und persönliches Lied. Für jemanden, der dem Sänger wohl sehr nahesteht, findet er wundervolle Formeln der Freundschaft: “Ich höre Deiner Stimme zu, ich höre zu wie du spielst. Der Rhythmus Deines Herzens so stark und so frei”

Manchmal bist Du so gut zu mir, dass ich mich schäme. Du hast nichts, aber das wenige, was du hast, verschenkst du. Du weißt doppelt so viel wie ich, aber du bíst nicht halb so stolz. Du hast doppelt so viel zu sagen wie ich, aber du bist nicht halb so laut.

Muss das alles “verständlich” sein? Nein, die Ahnung reicht aus, die Ahnung einer Freundschaft, die Licht ins Dunkel bringt. Und ist nicht die Blutsbrüderschaft unter Indianern die perfekte Essenz davon? Wer auch immer Frank ist, er wird es wissen.

Not Long Now - Orte sind ein großes Thema auf dem Album “These Days”: “Und hinge mein Leben davon ab Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was mich in diese Stadt gebracht hat.” “Durch ihre Nacht bin ich gefallen, durch ihre Tage habe ich die Jahre durchwandert.”

Orte auf einem Lebensweg, füllen sie die Jahre. Manche Orte locken mehr als andere , sind weich und reizend mit ihren leichtfertigen Versprechungen von Freiheit. “Jetzt lebst du unter dem Meer”. Das kann man auch wörtlich interpretieren: In Amsterdam geht das. Dass dort “viele neu gefundene Geschichten still vorbeitreiben”, glauben wir gern.

Don’t Mind If You Do - Ein einfaches und kraftvolles Liebeslied. Gerade daher anmutig. Wohin soll man bei so viel Schönheit mit seinen Händen? Wie bekommt man den Knoten aus seiner Zunge? Um zu sagen: Geh mit mir? Für so ein Lächeln gibt es nur einen würdigen Rahmen. Oder viele? Jeder Leser weiß es. “Der Himmel ist dunkel, die Sterne hängen tief. Sie scheinen nur für dich.”

Captain Of The Loving Kind - Paul betont: Dieser Song handelt von einer wahren Geschichte. Wollte man sie sich ausdenken, käme begründete Angst vor Sentimentalität auf. Nicht so hier. Das Lied erzählt die einfache Geschichte in einfachen Worten:

An einem Sonntag im Oktober 97 auf einem Flug die Küste von Labrador hinunter” landet der Pilot eines Verkehrsflugzeugs die Maschine außerplanmäßig an einem kleinen Ort. Denn ein Baby an Bord hat hohes Fieber und braucht dringend einen Arzt. Dem Sänger wird es warm ums Herz als er sieht, dass in “diesen Zeiten von Dollarnoten und Maschinen der Mann , in dessen Händen unser Leben lag, ein Kapitän der Menschenliebe war.” Die Rettung des Babys gelingt. Nur dies ist wichtig, nicht die Anschlussflüge, die mancher Passagier verpasst hat. Der Kern: Niemand beschwert sich, denn das dramatische Erlebnis hat Menschen eine Einsicht verschafft: die Wichtigkeit der Nächstenliebe.

Ready To Rain - “Öfter als ich mich erinnern kann hab’ ich versucht in sonnige Gefilde zu reisen, in meinem Geiste eingebrannt wie ein ewiger Traum. Doch hatte ich nie das Geld und nie die Zeit.” Diese Gefühlslage kennt man: ausgetrocknet sein vor Erschöpfung, sich nach der erfrischenden Kraft des Neuen sehnen.

Oder “wie eine dunkle Wolke am Himmel” die Welt grau zu sehen. “Doch es ist ihr egal, die Welt dreht sich weiter. Ihr ist’s egal, ob ich lache oder weine. Ob diese Feuer der Einsamkeit nun brennen oder nicht, Zeit und Gezeiten lassen mich zurück.” Wiederum ernste Gedanken mit Blick auf die Vergänglichkeit. Implizit wahrscheinlich gerade deshalb ein Plädoyer dafür, seine Träume zu leben.

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Hintergründe und Erklärungen

The Making Of Zachary - Der “Held” dieser reizenden Miniatur “wurde in einer Stadt geboren, in der überall Wasser fließt, unter den Brücken.” Oder manchmal auch vom Himmel. Da wären wir wieder in Amsterdam. Auch diese “neu gefundene Geschichte treibt still vorbei”: Eine persönliche Botschaft, ein skurriles Fundstück. “…die Zeugung des Zacharias würde es dennoch nie ganz erklären”, die Genese dieses Textes auch nicht.

“Er würde sich einfach an irgendeinen Ort gewöhnen, dann wäre es wieder Zeit fortzuziehen.“ Wieder eine Variante des “Orte-Themas”: “Adieu, ihr Windmühlen des Tieflands, hallo kühler Alpensee!”

Millionaire - “Bin ich in der Kirche oder seh’ ich Zahlen auf einer Kugel?” Dieser Song legt es auf einen gewagten Vergleich an. Religiöse Versenkung und die Angespanntheit des Glücksspielers.

“Ich bin so konzentriert, dass ich keine Ahnung habe. Meine Hände sind so verkrampft, dass meine Finger blau warden. Ich bete mit aller Kraft um all das Gute, das es bewirken könnte. Nun gut, es gibt Dinge, um die ich nicht bitten sollte und die nicht in ein Gebet gehören. Dennoch, wenn es nicht zu viel verlangt ist, Lieber Gott, mach mich zum Millionär."

Nun haben Wünsche dieses Kalibers in Künstlerkreisen ja gute Tradition. Wünschte sich nicht schon Janis Joplin vom Lieben Gott einen Mercedes Benz? Warum will einer Millionär sein? Aus lauter lauteren Motiven. Ein Flugzeug, den Kauf einer Jacht bedenken, am Pool zu frühstücken und in Mailand oder Liverpool das Mittagessen einzunehmen.

“Ich brauch’ ‘ne 25, ich brauch ‘ne 54.” Nur Sekunden trennen den Spieler von Absturz oder Gewinn. Ein halbes Dutzend Nullen, ein garantiertes Lächeln. Ohne diese Spannung kann der echte Spieler nicht leben, er kann nicht verstehen, wie andere es können. Wenn die Kugel rollt, ist ihm das Schicksal zum Greifen nahe. Dies eine Mal, lieber Gott, mach’ mich zum Millionär!

Perfect Place - Was kann man über dieses Lied sagen? Ein kraftvolles Bekenntnis zur Liebe zur Liebe! Zum Verliebtsein in die Liebe! “Sag’ mir, du liebst mich, wirst mich immer lieben. Du musst nicht alles glauben, was du sagst. Musst es nicht glauben, musst nur sagen …"

Ein herrlicher, entzückender, vollkommener Ort
Ein Lob auf den Schöpfer
und die menschliche Rasse
O herrlicher, entzückender, vollkommener Ort
Die Welt, die ich im Spiegel deines Gesichts sehe.


Das könnte man nun auch ironisch lesen, will man aber nicht bei so viel positiver Lebensfreude: “Erwach’ jeden Tag mit einem Lächeln am Morgen So gut ist es wach zu sein So froh am Leben zu sein …”

Love you not, love you true - Worte einer Liebe , die sich scheinbar an keine Bedingungen knüpft. Das kann nicht anders anders als radikal klingen. Das könnte schiefgehen und kitschig klingen. Bei Paul rührt es an.

Selbst wenn du mich betrügst,
wird meine Liebe noch immer wahr sein.
Es gibt keinen Ort, an den ich gehen könnte,
wo ich nicht noch immer wüsste:
Du bist der Mond, zu dem ich reise.


Liebe als Selbstverleugnung? Nein: “Es ist aufs äußerst’ schwarz und weiß: Ich lieb’ dich nicht, ich lieb’ dich wahrlich” Liebe als innere Zerrissenheit? Auch dies eine der vielen Perspektiven, die diese Musik aufzeigt.











Big Meeting Day - “Das Große Treffen” – so ist der großartige Abschluss von “These Days” betitelt. Eine Zeitreise ins Durham der Vergangenheit, wo es jedes Jahr ein großes Volksfest gab, Blaskapellen, Wahrsager und politische Reden. In seinem Buch “Notes from a Small Island” schreibt Bill Bryson: "I got off at Durham... and fell in love with it instantly in a serious way. Why, it's wonderful - a perfect little city.... If you have never been to Durham, go there at once. Take my car. It's wonderful." So schwärmt auch Paul Stephenson: “Ist alles Geld ausgegeben werden wir da sein und singen.

An diesem Ort des Bergbaus gibt es nichts zu bedauern, die Kumpels nahmen die Kohle, die Erde nahm sich einige von ihnen. “Wir alle müssen leben.” “Wir haben’s getan und würden es wieder tun.” “Im Himmel über Durham fliegen immer noch die Tauben.” Und am Tag des Großen Treffens werden wieder die Flaggen wehen und die Blaskapellen jubilieren.

Mit den Jubeltönen eines Feuerwerks klingt die Platte furios aus, mit dem Sekt, den man auf immer mehr und mehr Leben trinkt, stoßen wir an. “Kommt einst die Rechnung werden wir da sein und tanzen.”.